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Konsumenten-Studie: „Kommt der Apothekendienst Amazon Pharmacy auf den Markt, werden zahlreiche Kunden wechseln“

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Der Online-Riese Amazon hat sein Angebot erweitert: Seit dem 17. November 2020 versorgt das Unternehmen seine Kunden in den USA nun auch unter der Marke Amazon Pharmacy mit Medikamenten. Bis der Service Amazon Pharmacy auch hierzulande verfügbar sein wird, ist nur noch eine Frage der Zeit. Wir haben mit unseren Branchenexperten Dr. Clemens Oberhammer, Conrad Heider und Jan Merkel über eine aktuelle Kundebefragung und die erwarteten Auswirkungen auf die Industrie gesprochen.

Clemens, Conrad, Jan: Für wie wahrscheinlich haltet ihr es, dass Amazon Pharmacy Auswirkungen auf den deutschen Markt haben wird?

Clemens: Es ist so gut wie sicher, dass Amazon seine Online-Apotheke auch in Deutschland an den Start bringen wird. Nicht nur entspricht der Roll-out zuerst in den USA der typischen Amazon-Strategie, auch hat das Unternehmen erst vor kurzem die Marke „Amazon Pharmacy“ in der EU angemeldet. Die Branche rechnet daher mit dem Markteinstieg innerhalb der nächsten vier Jahre.

Conrad: Hinzu kommt, dass der Markt einfach sehr großes Potenzial für Amazon bietet, sodass es schon fast unsinnig wäre, den Geschäftszweig nicht hier einzuführen. Zu diesem Thema haben wir erst kürzlich eine Endkunden-Befragung durchgeführt. Wir wollten nicht nur herausfinden, ob Amazon Pharmacy hierzulande auf Interesse stößt, sondern auch, warum. Denn daraus können etablierte Apotheken und Apotheken-Plattformen hilfreiche Schlüsse für künftige Strategien ziehen.

Erzählt uns mehr über diese Studie, wer wurde befragt und was waren die wesentlichen Erkenntnisse?

Jan: Wir haben die repräsentative Simon-Kucher-Studie „Auswirkungen von Amazon Pharmacy auf den deutschen Online-Apothekenmarkt“ im Dezember 2020 durchgeführt. Dabei wurden 1.000 Konsumenten in Deutschland befragt. Der Fokus lag auf ihrem Einkaufsverhalten in Online-Apotheken sowie ihrer Bereitschaft, Amazon Pharmacy zu benutzen.

Clemens: Dabei haben wir herausgefunden, dass das Interesse groß ist: 17 Prozent der bestehenden deutschen Amazon-Kunden würden unmittelbar Medikamente bei Amazon Pharmacy kaufen. Betrachten wir Amazon-Prime Kunden, plant sogar ein Viertel der Befragten, Medikamente über Amazon zu erwerben. Und das bereits bevor das Geschäft etabliert oder gar beworben wurde.

Conrad: Diese Anzahl an potenziellen Kunden beziehen sich, wie Clemens bereits erwähnte, auf Konsumenten, die regelmäßig, also mindestens einmal pro Jahr, etwas über Amazon bestellen. Bei Leuten, die die Plattform nicht nutzen, würden aber immerhin auch fünf Prozent Amazon Pharmacy nutzen, sobald es verfügbar ist. Unter dieser Kundengruppe ist aber generell die Affinität zur Offline-Apotheke vor Ort besonders hoch.

17 Prozent der Amazon-Kunden und 5 Prozent vom Rest: Das hört sich nach einer Menge potentieller Käufer an, die sich für einen Dienst interessieren, den sie noch gar nicht kennen. Warum besteht bereits jetzt so starkes Interesse?

Clemens: Das stimmt! Gehen wir von der derzeit bekannten Anzahl an Amazon-Kunden aus, hätte das Unternehmen das Potential, auf einen Schlag insgesamt knapp 9 Millionen Kunden zu gewinnen und wäre dadurch unmittelbar die Nummer zwei im deutschen Online-Apothekenmarkt.

graph pharmacy study

Quellen: 1: AMZ-Ranking; 2: Zur Rose Halbjahresbericht 2020, Zahlen für H1 2020; 3: Shop Apotheke Earnings Call Presentation Q3 2020; Simon-Kucher Online-Befragung von 1.000 deutschen Konsumenten, 30.11. – 2.12.2020

Bezogen auf den Umsatz könnte Amazon mit dieser Menge an Kunden rund 1,3 Milliarden Euro mit rezeptfreien Medikamenten erwirtschaften, wenn wir die Zahlen der Konkurrenz aus den Vorjahren als Grundlage der Prognose nehmen. Wenn ab Januar 2022 das eRezept verpflichtend ist, könnte sich dieser Umsatz durch verschreibungspflichtige Medikamente sogar noch mehr als verdoppeln.

Conrad: Warum sich bereits jetzt so viele Menschen für Amazon Pharmacy interessieren? Ein wesentlicher Grund dafür ist sicherlich der Bekanntheitsgrad des Unternehmens im Online-Bereich sowie Prozesse und Standards im Bereich der Kundenerfahrung, die Viele bereits jahrelang für die unterschiedlichsten Produkte zufrieden nutzen. Unsere Studie belegt das: Bei der Frage, was für einen Kauf von Medikamenten bei Amazon Pharmacy spricht, waren die meistgenannten Gründe die zuverlässige und kostenfreie Lieferung sowie die Vorteile eines bereits bestehenden Amazon-Prime-Kontos.

Also ist der Preis gar nicht das entscheidende Kriterium, warum immer mehr Kunden online Medikamente kaufen? Das beklagen ja stationäre Apotheken häufig.

Clemens: Das kann man so nicht sagen. Es stimmt zwar, dass der Preis nicht das Hauptargument für Konsumenten ist, um bei Amazon zu kaufen. In unserer Umfrage gaben die Teilnehmer aber trotzdem bei der Frage, was für sie bei der Auswahl einer Online-Apotheke am wichtigsten sei, den Preis am häufigsten an. Online-Apotheken konkurrieren also durch ihre günstigeren Preise mit stationären Apotheken, Amazon wirft zusätzlich noch sein etabliertes Kundenerlebnis in die Waagschale. Das macht das Unternehmen als Konkurrenten noch relevanter.

Derzeit interessieren sich die meisten Konsumenten ja laut Studie noch nicht für den Amazon-Dienst. Was sind ihre Gründe?

Jan: Die Vorbehalte, die bei Kunden gegen Amazon Pharmacy bestehen, teilen sich in drei wichtige Kategorien auf: Einerseits misstrauen sie der Marktmacht des US-Konzerns. Andererseits fühlen sie sich ihrer aktuellen Apotheke mehr verbunden. Zudem fürchten sie die fehlende Kompetenz in Sachen Medikamente und Pharmazie.

Conrad: Ein weitere Kritikpunkt ist der Datenschutz: Hier können die deutschen Marktteilnehmer punkten, denn Datenschutz und -sicherheit sind – vor allem in der öffentlichen Wahrnehmung – deutsche Kernkompetenzen. Auch die bestehende Nähe zu ihren Kunden, die garantierte Einhaltung rechtlicher Rahmenbedingungen und die erlebte Kompetenz sind Eigenschaften, mit denen sich deutsche Apotheken jetzt gegen den Markteintritt von Amazon wappnen können.

Clemens: Exakt: Der Online-Handel mit Medikamenten erlebt gerade jetzt einen massiven Wachstumsschub und Anbieter müssen sich nun erfolgreich durch ein konsumentenorientiertes Angebot positionieren, um ihre Kunden so eng wie möglich an sich zu binden und so bei einem Launch von Amazon Pharmacy keine Marktanteile zu verlieren.

Clemens, Conrad, Jan: Vielen Dank für das Gespräch!

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