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Smart Meter Rollout: Wie Verbraucher und Energieversorger vom neuen Gesetz zu dynamischen Stromtarifen profitieren können

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Smart Meter Rollout: Wie Verbraucher und Energieversorger vom neuen Gesetz zu dynamischen Stromtarifen profitieren können

Strom zum stündlichen Börsenpreis? Im Frühling 2023 tritt es in Kraft: Das Gesetz zur Beschleunigung des Smart Meter Rollouts. Zwei Jahre später haben alle Kunden ein Anrecht auf dynamische Energietarife auf Basis intelligenter Zähler — also Tarife, die den Börsenpreis widerspiegeln. Im besten Fall verschieben Kunden ihren Verbrauch damit auf Zeiten, in denen das Stromangebot hoch und der Preis niedrig ist. Neben Verbrauchern und Energieversorgern profitiert auch das Klima vom Gesetz.

 

Gesetzesänderung und aktuelle Situation

Nach dem § 3 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) ist ein dynamischer Tarif ein „Stromliefervertrag mit einem Letztverbraucher, in dem die Preisschwankungen auf den Spotmärkten, einschließlich der Day-Ahead- und Intraday-Märkte, in Intervallen widergespiegelt werden, die mindestens den Abrechnungsintervallen des jeweiligen Marktes (Day-Ahead-Markt): 1 h; Spotmarkt: 15 min) entsprechen“.

Jedoch wird der Begriff „dynamischer Stromtarif“ im Markt derzeit oftmals irreführend genutzt und entspricht nicht den gesetzlichen Vorgaben des dynamischen Tarifs. Die Preise werden zwar im Gegensatz zum fixen Stromtarif in regelmäßigen Intervallen angepasst, die Weitergabe der Marktpreise erfolgt jedoch häufig auf Basis von Monats- oder Jahresdurchschnittswerten und bietet den Kunden daher keinen Anreiz zur Verschiebung ihres Verbrauchs.

Für große Energieversorger mit mehr als 100.000 Letztverbrauchern besteht die Pflicht, einen dynamischen Tarif gemäß § 3 des EnWG anzubieten, bereits seit vergangenem Jahr. Sichtbar wird dies für Kunden bisher jedoch nicht: Lediglich einer von 16 großen etablierten Stromversorgern in Deutschland vermarktet aktiv einen dynamischen Tarif, der Anreize zur Lastverschiebung bietet.

Abb. 1 Marktdurchdringung Smart-Meter in den EU-Ländern im Jahr 2020

Abb. 1 Marktdurchdringung Smart-Meter in den EU-Ländern im Jahr 2020

Während europäische Länder wie Finnland, Estland, Schweden und Spanien dynamische Tarife dank fortgeschrittenem Smart Meter Rollout bereits fest etabliert haben, hängt Deutschland hinterher (siehe Abb. 1). Die Smart-Meter-Abdeckung und das Interesse der Verbraucher an Smart Metern sind derzeit durch die hohen Kosten mit ca. 100 Euro noch gering. Die Verfügbarkeit und Nutzung intelligenter Messsysteme sind jedoch Voraussetzung für dynamische Tarife. Sie kommunizieren den tatsächlichen Verbrauch auf Viertelstundenbasis, der Abrechnungsgrundlage für die Energieversorger ist. Der Preis für die intelligenten Messsysteme ist im Gesetzesentwurf ab 2025 auf 20 € pro Jahr für Endkunden gedeckelt.

Großes Sparpotenzial für flexible Kunden

Für Verbraucher ist es daher an der Zeit zu prüfen, ob solche Tarife zu ihnen passen. Die Faustregel: Wer beim Stromverbrauch nicht auf feste Zeiten angewiesen ist, kann dank der neuen Transparenz viel sparen. Einfach indem er die Nutzung auf kostengünstigere Zeitpunkte verschiebt — das Elektroauto also z.B. nachts oder dann lädt, wenn es überschüssige Windenergie gibt (siehe Abb. 2).

Abb. 2 Einsparpotentiale durch Lastverschiebung beim Verbraucher

Abb. 2 Einsparpotentiale durch Lastverschiebung beim Verbraucher

Weitere Vorteile: Kunden haben Transparenz zu Verbrauch und Kosten, reduzieren CO2-Emissionen durch eine effiziente Nutzung erneuerbarer Energien und fördern die Energiewende.

Dynamische Tarife als Kundenmagnet für Energieversorger

Die Deckelung der Endkundenkosten für Smart Meter auf 20 € fördert die breitflächige Einführung und beschleunigt die Digitalisierung. Energieversorger können neue Geschäftsfelder und Mehrwerte für Kunden entwickeln. Das ist essenziell, da in der Energiekrise viele Verbraucher in die plötzlich günstigere Grundversorgung wechselten. Jetzt, da die wettbewerblichen Preise das erste Mal seit Monaten wieder flächendeckend unter der Grundversorgung liegen, fahren Versorger ihren Vertrieb hoch. Dies lässt sich auch an der Anzahl der Stromanbieter bei Verivox beobachten, die seit September um über 80 % gestiegen ist (siehe Abb. 3). Dass Preise am Spotmarkt stärker sinken als an den Terminmärkten, ist dabei das beste Argument zur Neukunden-Gewinnung mit dynamischen Tarifen. Der Verbraucher trägt dabei jedoch das Risiko steigender Preise am Spotmarkt in der Zukunft.

Abb. 3 Preisentwicklung und Anbieter auf Verivox

Abb. 3 Preisentwicklung und Anbieter auf Verivox

Dynamische Tarife sind zudem exzellent zur Kundenbindung. Angepasste Preis- und Beschaffungsmodelle geben Kunden das, was sie wollen: Transparenz durch die Differenzierung von Energiekosten und vertrieblichen Kosten und Handlungsoptionen durch die Möglichkeit der Beeinflussung der Energiekosten. Auch unsere Energiemarktstudie zeigt, dass 88 % der Kunden ihr Verbrauchsverhalten anpassen, um zu sparen.

Beispiele, dass das Modell funktionieren kann, gibt es bereits einige. Spanien macht es vor: Hier nutzen bereits fast 50 Prozent der Endkunden dynamische Tarife. In Deutschland bietet Tibber bereits seit 2020 allen Kunden mit Smart Meter einen dynamischen Tarif gekoppelt an den EPEX-Spotmarkt-Preis an und berechnet dem Kunden zzgl. zum Energiepreis lediglich eine monatliche Servicepauschale. Aber auch in der Stadtwerke-Landschaft gibt es Beispiele, wie das Stadtwerk Haßfurt das einen dynamischen Tarif mit Preisgrenzen bereits anbietet.

Dynamische Tarife in anderen Branchen keine Neuheit

Aus unserer langjährigen Erfahrung mit dynamischen Preismodellen in vielen Branchen wissen wir, dass Verbraucher an einer dynamischen Preisgestaltung interessiert sind. Einzige Voraussetzung: Die Systeme müssen so gestaltet sein, dass sie einfach zu nutzen sind und den Verbrauchern die Möglichkeit geben, von bestimmten Angebotspreis- oder Marktpreiskonstellationen zu profitieren.

In Bereichen wie beispielweise der Reisebranche und im Einzelhandel, haben sich dynamische Preismodelle bereits als eines der wichtigsten Verfahren zum Ausgleich von Angebot und Nachfrage und damit zur besseren Gewinnausschöpfung etabliert. Sie kommen in unendlich vielen Varianten als simple zeitliche Preisdifferenzierung vor, u.a. nach Tageszeit, nach Wochentag, nach Jahreszeit, in Form von Frühbucherrabatten, als Last-Minute-Angebote oder als sog. dynamisches Pricing in Abhängigkeit von Angebots- und Nachfrageentwicklung.

Der Treiber sind stets individuelle Verbraucherpräferenzen und die damit verknüpften unterschiedlichen Preisbereitschaften. In unserem Energiesystem ist der Ausgleich jedoch auch eine Frage der Versorgungssicherheit und nicht nur der Gewinnausschöpfung.

Flexibilisierung wichtig für die Realisierung der Energiewende

Durch den zunehmenden Anteil der fluktuierenden Energiequellen am Energiemix steigt die Preisvolatilität. Um die Versorgungssicherheit auch in Zukunft gewährleisten zu können, müssen Maßnahmen zum Ausgleich von Angebot und Nachfrage getroffen werden. Neben den technischen Lösungen mittels Energiespeicherung mit Batterien oder Umwandlung in Wasserstoff, bietet hier die Flexibilisierung der Nachfrageseite ebenfalls einen Hebel für eine erfolgreiche Energiewende.

Bei einem unausgeglichenen Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage erhält der Endverbraucher mit dynamischen Tarifen entsprechende Preissignale. Verbraucher, die ihren Bedarf entsprechend anpassen, werden finanziell belohnt und helfen gleichzeitig das Stromnetz stabil zu halten, indem sie Lastspitzen glätten und Erzeugungsspitzen abnehmen. In der Industrie ist die Flexibilitätsvermarktung bereits vorangeschritten, im Bereich privater Haushalte stehen wir hier jedoch noch am Anfang. Und das, obwohl die Privathaushalte rund ein Viertel des Stromverbrauchs in Deutschland ausmachen.

Anforderungen an Energieversorger

Für Energieversorger gilt es aber noch einige Hürden zu überwinden, bis sie die Chancen, die das Smart-Meter-Gesetz mit sich bringt, tatsächlich nutzen können. Denn bspw. eine Beschaffung unabhängig der Preisbindung der Kunden an den Börsenpreis birgt Risiken. Der derzeitige Trend der Beschaffung von Vollversorgungsprodukten hin zu flexibleren und kurzfristigeren Produkten wird sich weiter verstärken. Das bringt neue Anforderungen an die Beschaffung mit sich und erfordert eine engere Zusammenarbeit mit dem Vertrieb. Energieversorger mit Börsenzugang können Mengen zwar direkt an der Börse beschaffen, jedoch sind einige auf Vorlieferanten angewiesen und hier fehlt es oftmals noch an passenden Produkten.

Welche Auswirkungen eine großflächige Nutzung der dynamischen Tarife auf die Energiemärkte hat, ist noch zu quantifizieren – ob die Verschiebung hin zu kurzfristigeren Beschaffungsprodukten zu einer erhöhten Liquidität am Spotmarkt und Day-Ahead-Markt oder zu Engpässen führen wird, ist nicht ausreichend untersucht.

Doch auch an der Kundenschnittstelle muss gearbeitet werden: Die Preissignale müssen nutzerfreundlich übermittelt werden. Eine gelungene Integration in die Energieversorger-App kann zu einer sehr guten User Experience führen und um weitere passende Funktionalitäten ergänzt werden – CO2-Rechner für die Partizipation an der Dekarbonisierung oder Darstellung von Einsparpotenzialen durch optimiertes Verbrauchsverhalten.

Abb. 4 Darstellung Kostenbestandteile Fixpreis gegenüber Kostenbestandteile dynamischer Tarif an einem konkreten Beispiel

Abb. 4 Darstellung Kostenbestandteile Fixpreis gegenüber Kostenbestandteile dynamischer Tarif an einem konkreten Beispiel

Das Preismodell, wie wir es bisher kennen, mit einem Grundpreis und einem fixen Arbeitspreis für die Vertragslaufzeit, wird sich verändern müssen (siehe Abb. 4). Die Risiken im Preismodell sinken für den Energieversorger durch die direkte Weitergabe der Börsenstrompreise, sodass dem Endkunden attraktive Preise geboten werden können. Die Preisbestimmung und die prozessuale Umsetzung müssen jedoch auch gewährleistet werden.

Zu beachten ist: Dynamische Tarife sind nicht für alle Verbrauchertypen gleich attraktiv. Andere nutzungsabhängige Tarife können ebenfalls einfachere, aber effiziente Anreize bieten. Eine Zielkundensegmentierung hilft bei der Identifikation der Kundenbedürfnisse und der Gestaltung des Preismodells.

Chance für ein nachhaltiges Wachstum

Wir sind trotz der Herausforderungen für Energieversorger überzeugt, dass die Einführung dynamischer Stromtarife zahlreiche Chancen birgt und nicht als gesetzliche Pflichtaufgabe missverstanden werden darf. Durch das neue Gesetz wird ein Rahmen geschaffen, in dem beide Seiten profitieren können. Mit Hilfe dynamischer Tarife können Versorger ihr Produktportfolio diversifizieren und Kunden ansprechen, deren Bedürfnisse nicht durch einen Standardtarif erfüllt werden. Die Kundenbindung wird so gesteigert. Eine klare Positionierung und das Herausarbeiten der USPs sind dabei erfolgsentscheidend.

Der Rückenwind der aktuellen Marktsituation und des Gesetzgebers, der mit der Novelle die Digitalisierung der Energiewende vorantreibt und den Einbau von Smart Meter sowie das Angebot von dynamischen Stromtarife fördert, kann zum Wachstum im Stromgeschäft genutzt werden. Einem Markt der durch die Elektrifizierung insbesondere im Wärmebereich in den kommenden Jahren zunehmen wird.

Der Artikel ist ursprünglich im Mai 2023 in et – Energiewirtschaftliche Tagesfragen erschienen.

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