C-Level-Führungskräfte erkennen zunehmend: Märkte entstehen nicht von selbst – sie müssen aufgebaut werden. Dieser Blogbeitrag als Teil unserer CEM-Studienreihe zeigt anhand von Projekten von Simon-Kucher, wie Emittenten und „Clean-Tech“-Anbieter die Nachfrage aktiv gestaltet haben, anstatt passiv auf neue Kunden zu warten. Zudem entwickeln wir strategische Prioritäten für Industrieunternehmen, die Nachhaltigkeit erfolgreich in ihr Geschäft integrieren wollen.
Nachhaltigkeit wurde lange vor allem als operative und regulatorische Herausforderung betrachtet. Milliarden flossen in Projekte zum Wohle des Planeten – oft jedoch, ohne dass der konkrete Kundennutzen oder der geschäftliche Mehrwert ausreichend berücksichtigt wurde. In entstehenden CO₂-armen Märkten entscheidet sich der Erfolg nicht nur über richtige Technik und hohe Compliance-Standards, sondern auch über die Fähigkeit der Unternehmen, Nachfrage zu formen, Mehrwert zu definieren und die Erwartungen von Käufern zu prägen.
Von Zement und Chemikalien bis hin zu Carbon-Capture-Technologien und neuen Werkstoffen entwickeln Unternehmen CO₂-arme Alternativen, die regulatorische Anforderungen übertreffen. Dennoch gelingt es vielen nicht, Marktanteile aufzubauen – weil die Nachfrage unklar, fragmentiert oder noch unreif ist.
Nachhaltig und profitabel gewinnen heißt: Märkte gestalten
Unsere Arbeit konzentriert sich zunehmend darauf, Märkte so zu formen und zu gestalten, dass grüne Investitionen auch Rendite bringen. In einem kürzlich durchgeführten Projekt mit einem globalen Zement- und Betonhersteller hatten die Führungskräfte in neue und nachhaltige Produkte für den nordamerikanischen Markt investiert, um internationale Standards zu erfüllen. Doch die regionalen Märkte waren nicht vorbereitet. Die Kunden standen der Einführung eines neuen, potenziell minderwertigen Produkts skeptisch gegenüber. Zudem hatten die Regulierungsbehörden keine klaren Vorgaben definiert, was ein „grünes“ Zementprodukt ausmacht. Und jeder Wettbewerber nutzte eigene Maßstäbe, um die Nachhaltigkeit eigener Produktrezepturen zu bewerben.
Tatsächlich war das neue „grüne“ Zementprodukt keineswegs minderwertig. Die Härte und Abbindezeit verbesserten sich – bei gleichzeitig deutlich reduzierten Emissionen. Die Kunden waren bereit, bis zu 5 % mehr zu zahlen, allein aufgrund der besseren Leistungseigenschaften.
Doch eine rein leistungsorientierte Strategie reichte nicht aus. Unser Kunde musste mehr tun, um das volle Potenzial der Technologie auszuschöpfen: Denn die nachhaltigen Rezepturen sollten nicht nur die offiziellen CO₂-Standards erfüllen, sondern sich mit ihren Nachhaltigkeitsnachweisen auch klar von Greenwashing-Produkten der Konkurrenz abheben. Erst diese zusätzlichen Schritte konnten das volle Geschäftspotenzial erschließen und die Wettbewerbsfähigkeit der Produkte langfristig sichern.
Inzwischen hat sich die Produktstrategie unseres Kunden über die reine Produktentwicklung mit ersten Marketingaktivitäten hinaus weiterentwickelt. Brancheninitiativen, der Dialog mit Regulierern und ein wertorientierter Vertrieb sind genauso wichtig geworden. Der Nutzen unseres Kunden ging über finanzielle Erträge hinaus: Das Unternehmen hat Sicherheit am Markt geschaffen – trotz wachsender Unsicherheiten durch geopolitische Entwicklungen (z. B. US-Zölle).
Zentrale Erkenntnis: Wer den vollen Wert grüner Innovationen ausschöpfen will, darf nicht bei der Produktleistung stehenbleiben. Entscheidend ist, Marktbedingungen aktiv zu gestalten. Der Schlüssel dazu: enge Zusammenarbeit mit Regulierern, verbindliche Branchenstandards und wertorientierter Vertrieb. So lassen sich Skepsis überwinden, Greenwashing abgrenzen und langfristige Profitabilität sicherstellen.
Anbieter von Nachhaltigkeitstechnologien brauchen innovative Geschäftsmodelle, um am Markt zu gewinnen
Emittenten wie der oben genannte Zementhersteller brauchen nachhaltige Gewinne, um ihre hohen Investitionsausgaben (CAPEX) in die Dekarbonisierung zu finanzieren. Carbon Capture ist eine dieser vielversprechenden Technologien. Doch hohe Kosten und unsichere Performance bremsen die Einführung.
Wir arbeiten in einem zweiten Beispiel mit einem Start-up zusammen, das ein System entwickelt hatte, um die Effizienz deutlich zu steigern und Betriebskosten (OPEX) zu senken. Die zentrale Frage: Wie lässt sich diese Technologie wirtschaftlich nutzen und an Großemittenten verkaufen, die selbst noch nach Finanzierungsmöglichkeiten suchen?
Wie die Emittenten müssen auch Carbon-Capture-Anbieter den Markt aktiv gestalten. Statt an klassischen, kapitalintensiven Modellen festzuhalten, halfen wir, eine hybride CAPEX/OPEX-Struktur zu entwickeln. Das Modell stellte die Einsparungen in den Vordergrund und senkte zugleich das Investitionsrisiko für zögerliche Käufer. Das Ergebnis: Die Kunden nahmen den neuen Ansatz an und waren bereit, 10–20 % mehr zu zahlen.
Zentrale Erkenntnis: In kapitalintensiven Nachhaltigkeitsmärkten müssen Technologieanbieter traditionelle Preis- und Angebotsmodelle überdenken. Innovative kommerzielle Strukturen, die Risiken teilen, den Wert klar herausstellen und OPEX-Einsparungen betonen, steigern die Zahlungsbereitschaft und beschleunigen die Marktdurchdringung.
Vom Zulieferer zum Marktgestalter
Beide Beispiele verdeutlichen eine tiefere Wahrheit: Industrieunternehmen können sich nicht allein auf die Nachfrage der Kunden am Ende der Produktionskette verlassen. Sie müssen aktiv Bedingungen schaffen, damit neue Märkte entstehen. Das heißt: neben Käufern auch Regulierer, Finanzierer und Zulieferer einbeziehen. Dabei sollten sie vor allem für drei Dinge sorgen:
- Klare Definitionen und Standards
- Vertrauen der Käufer durch Daten und Verifizierung
- Geschäftsmodelle, die Kosten mit Compliance- oder ESG-Zielen in Einklang bringen
Marktentwicklung gelingt selten im Alleingang. Oft setzen sich neue Produkte nur durch, wenn alle Akteure entlang der Wertschöpfungskette – von Zulieferern über Abnehmer bis hin zu Regulierern – gemeinsam handeln. Ob bei umweltfreundlichen Verpackungen, sauberen Treibstoffen oder alternativen Materialien: Die Gestaltung der Nachfrage erfordert oftmals strategische Partnerschaften mit Technologieanbietern, politischen Entscheidungsträgern und allen, die dazwischen liegen.
Beim biobasierten Kunststoff PEF beispielsweise hängt der Erfolg von mehreren Faktoren ab, darunter von der Produktleistung, der Anpassung der Verarbeiter an neue Maschinen, den frühen Zusagen von Konsumgütermarken und der Einbindung in Regulierung und Recycling-Systeme. Fehlt dieses Ökosystem, ist der Wert des Produkts schwer zu begründen.
Besonders deutlich zeigt sich dies in Nordamerika, wo der grüne Aufschwung zunehmend marktbasiert vorangetrieben wird – anders als in Europa, wo politische Vorgaben stärker dominieren. In den USA beginnen erfolgreiche Nachhaltigkeitsstrategien meist mit einem Business Case, nicht mit regulatorischen Auflagen.
Was Führungskräfte jetzt tun müssen
Der Weg von ESG-Ambitionen hin zu echter kommerzieller Nachhaltigkeit erfordert mehr als gutes Storytelling. Ausschlaggebend ist der Aufbau einer tragfähigen Marktarchitektur. Erfolgreiche Unternehmen …
- stimmen sich früh mit Kunden ab, um Spezifikationen und Kennzahlen gemeinsam zu entwickeln
- bündeln Angebote, um Risiken zu senken und den Wert neu zu definieren
- setzen sich für höhere Standards ein, die die Käuferunsicherheit verringern
- passen ihre Go-to-Market-Strategien an die Marktreife an, nicht an ihre Wunschvorstellungen
Strategische Prioritäten der Marktgestaltung
Drei strategische Prioritäten zeichnen sich für Industrieunternehmen ab, die in neue Märkte eintreten wollen:
1. Verankern Sie Nachhaltigkeit in der Leistung, nicht in der Philosophie
Nachhaltigkeit muss klar mit Kundennutzen verknüpft sein – sei es durch höhere Verlässlichkeit, geringeres Risiko oder einen regulatorischen Vorsprung. Das Zementbeispiel zeigt: Die reine CO₂-Reduktion reicht nicht, um Geschäfte erfolgreich abzuschließen.
2. Passen Sie Preis- und Angebotsmodelle der Marktreife an
In neu entstehenden Märkten zählt vor allem Einfachheit. Asset-light-Modelle oder Servicepakete senken Hürden. Besonders überzeugend ist Carbon Capture, wenn es als ergebnisorientierter Service („Managed Outcome“) und nicht als reiner Hardwareverkauf angeboten wird.
3. Formen Sie das Ökosystem, nicht nur den Käufer
Wachstum entsteht schneller, wenn Definitionen, Daten und Anreizsysteme übereinstimmen. Führende Unternehmen investieren früh in die Gestaltung des Ökosystems – von Standardisierung über Verifizierungspartnerschaften bis hin zur politischen Zusammenarbeit.
Bei Simon-Kucher unterstützen wir Unternehmen aus der Chemicals-, Energy- und Materials (CEM)-Industrie dabei, ihre Geschäftsmodelle an die Marktreife anzupassen – Nachfrage gezielt dort zu gestalten, wo sie noch nicht existiert, und Wachstum zu beschleunigen, wo es bereits besteht. Sprechen Sie uns an, um zu erfahren, wie wir auch Ihnen helfen können, Nachhaltigkeit in neu entstehenden Märkten erfolgreich zu kommerzialisieren.
Bald geht es in unserer Serie weiter mit: Strategische Resilienz und Rohstoffunabhängigkeit
Im nächsten Blogbeitrag wechseln wir vom Marktaufbau zur Risikovorsorge und zeigen, wie Unternehmen aus dem Bereich Chemicals, Energy und Materials ihre strategische Widerstandskraft stärken. Von Kreislaufwirtschaft und regionaler Beschaffung über Rohstoffsicherung bis hin zu Nearshoring betrachten wir, wie Branchenführer Abhängigkeiten verringern und ihre Zukunftsfähigkeit in einer volatilen Welt sicherstellen.