Mobility-as-a-Service: Deutschland testet erste Mobilitätsflatrate
Januar 29, 2020

Mobilität neu denken – die Stadtwerke Augsburg haben kürzlich eine Mobilitätsflatrate vorgestellt, mit der Kunden den öffentlichen Nahverkehr, Car-Sharing und Leihräder zu einem Festpreis nutzen können. Wie wird Mobility-as-a-Service (MaaS) für alle Beteiligten zum Erfolg? Vier Punkte, die Anbieter bedenken sollten.
Die Mobilitätsbranche befindet sich in einem grundlegenden Wandel – nicht nur in technologischer Hinsicht. Überfüllte Innenstädte mit schlechter Luft und hoher Lärmbelastung verlangen nach neuen Mobilitätskonzepten jenseits des eigenen Autos. Die Angebote an Car-Sharing (z. B. BMW und Daimler mit ShareNow oder VW mit WeShare), Bike-Sharing oder E-Scooter-Sharing haben in den letzten Jahren zugenommen. Doch es gibt auch erste Versuche für einen ganzheitlicheren Ansatz, der den Individualverkehr mit dem öffentlichen Verkehr verknüpft.
Derartige Angebote werden häufig als Mobility-as-a-Service (MaaS) bezeichnet. Dabei handelt es sich um ein Konzept, bei dem Kunden verschiedene Mobilitätsdienstleistungen von einem Anbieter beziehen. Sie zahlen entweder eine monatliche oder jährliche Gebühr (wie aus dem Software- und Medienbereich bekannt) oder pro Nutzung des Verkehrsmittels. Diesen Pay-per-Use-Ansatz verfolgt zum Beispiel das Unternehmen Jelbi aus Berlin.
Pilotprojekt in Augsburg: Mobilität zum Fixpreis
Die Stadtwerke Augsburg (swa) bieten seit November 2019 unter dem Namen „Mobil-Flat“ bundesweit die erste Mobilitätsflatrate an – einmal zahlen, alles fahren. Das Konzept betrachtet Fortbewegung im urbanen Raum ganzheitlich: Neben dem öffentlichen Nahverkehr im Innenstadtbereich können Kunden im Sinne eines Sharing-Ansatzes auch auf die rund 175 Fahrrädern und 200 Autos der swa-Flotte zurückgreifen. Der Ansatz fördert ein intermodales Mobilitätsverhalten, indem die Kunden zu einem festen Preis unterschiedliche Verkehrsmittel kombinieren können, um ans Ziel zu kommen. Somit erleichtern Mobility-as-a-Service-Angebote nicht nur die individuelle Fortbewegung, sondern leisten auch einen wertvollen Beitrag zum Klimaschutz und einer verbesserten Lebensqualität in Städten.
Die swa bieten mit der Mobil-Flat S für 79 Euro und der Mobil-Flat M für 109 Euro zwei Pakete an, die sich nur im Car-Sharing-Umfang unterscheiden: Im günstigeren Tarif sind monatlich 15 Stunden bzw. 150 Kilometer inklusive, der teurere Tarif beinhaltet 30 Stunden bei einer unbegrenzten Kilometeranzahl. Bei einer Buchung bis zum 31. Januar 2020 zahlen die Kunden außerdem die ersten sechs Monate nur den Preis des S-Tarifs.
Bisher waren die Angebote der swa auf ein Verkehrsmittel beschränkt. Während sich der Car-Sharing-Ansatz auf Stundenbasis als profitabel erwies, wird das defizitäre ÖPNV-Angebot Jahr für Jahr mit rund 40 Millionen Euro bezuschusst.
4 Erfolgsfaktoren für Mobility-as-a-Service-Konzepte
Mit ihrer Mobilitätsflatrate gehen die swa einen entscheidenen Schritt in Richtung Mobilität der Zukunft. Damit sich solche Mobilitätskonzepte auch für die Anbieter lohnen, gilt es jedoch, einige Punkte zu beachten. Haben die swa das volle Potenzial der Mobilitätsflatrate bereits ausgeschöpft? Wir haben ihr Angebot anhand der folgenden vier Erfolgsfaktoren genauer unter die Lupe genommen:
1. Segmentieren Sie Ihren Kundenstamm.
Erfolgreiche Mobility-as-a-Service-Konzepte starten mit einer sinnvollen Kundensegmentierung. Dafür gilt es zunächst, die Segmente im Einzugsgebiet (z. B. Pendler, Bedarfsnutzer, Firmenkunden) zu identifizieren und anschließend ihre Nutzungspräferenzen zu hinterfragen. Sobald Anbieter wissen, welche Verkehrsmittel Kunden wie regelmäßig und wie lange nutzen, können sie darüber entscheiden, segmentübergreifende oder segmentspezifische Pakete anzubieten. Je stärker sich die Nutzungspräferenzen unterscheiden, desto eher sollten Anbieter über getrennte Pakete nachdenken.
2. Strukturieren Sie Ihr Angebot und grenzen Sie Ihre Pakete voneinander ab.
Die angebotenen Pakete sollten den Bedürfnissen der Zielgruppen entsprechen: Von „One size fits all“ (ein Paket mit allen Leistungen) über „Onion“ (vordefinierte Servicezusammenstellungen in verschiedenen Größen) bis hin zu „Pick’n’Choose“ (Pakete, die sich frei zusammenstellen lassen). Die erste Variante ist beispielsweise einfach verständlich, bietet dem Kunden aber keinerlei Flexibilität. Die letzte Variante dagegen ist komplex, dafür aber auch maximal flexibel. Um die Pakete sinnvoll und klar voneinander abzugrenzen, sollten sie über „Lead-Items“ – also Eigenschaften, die bestimmten Kundensegmenten einen besonders hohen Nutzen stiften (z. B. Tages-/Wochennutzung, präferiertes Angebot vor 9 Uhr) differenziert werden. Mithilfe sogenannter „Fencing“-Kriterien können Anbieter das Auswahlverhalten von Kunden aktiv steuern und die Abwanderung zu günstigeren Angeboten verhindern bzw. Upselling fördern (z. B. den Griff zum Best-Paket mit exklusiven Vorteilen).
3. Differenzieren Sie Ihr Preismodell.
Anbieter sollten sich für das Preismodell entscheiden, das die Kundenpräferenzen am besten widerspiegelt. Subscription-Modelle erscheinen aufgrund ihrer Verbreitung heute häufig als die logischste Wahl. Sie bieten Unternehmen diverse Vorteile, zum Beispiel konstante Umsatzströme und eine effektive Kundenbindung. Gerade letzteres führt jedoch dazu, dass Kunden Flatrates häufig skeptisch gegenüberstehen. Pay-per-Use-Varianten oder flexiblere Zahlungsmodelle sind mitunter beliebter. Auch das tatsächliche Nutzungsverhalten der definierten Segmente ist für die Wahl des Preismodells entscheidend: Ist es für Kunden attraktiver, die Angebotsvorteile zu einem Festpreis zu nutzen (wie z. B. bei der BahnCard 100) oder nach tatsächlich in Anspruch genommener Nutzung zu bezahlen (wie z. B. bei ShareNow)? Das Preismodell kann – wie beispielsweise beim Car-Sharing-Anbieter Miles – auch der strategischen Differenzierung dienen. Miles wirbt aktiv mit der Abrechnung pro Kilometer statt Zeiteinheit, um überraschend hohe Kosten für Nutzer zu vermeiden.
4. Binden Sie Ihren Kundenstamm langfristig.
Die vielfältigen Mobilitätsangebote im urbanen Raum geben Kunden die Möglichkeit, die Wahl ihres Verkehrsmittels situationsabhängig zu gestalten. Die Wechselkosten sind meist marginal, genauso wie das emotionale Involvement. Für Anbieter sind Loyalitätsprogramme deshalb ein wichtiges Mittel, um Kunden ans Unternehmen zu binden und ihren Share of Wallet (also ihren Anteil an den Gesamtausgaben des Kunden für Mobilitätsdienstleistungen) durch gezielte Anreize zu erhöhen. Bei Uber Rewards sammeln Kunden beispielsweise mit jeder Fahrt Punkte – je nach Mitgliedsstatus sind damit verschiedene Vorteile verbunden. So gelingt es, auch Gelegenheitsnutzer langfristig zu halten. Für Geschäftskunden haben sich insbesondere Programme als erfolgreich erwiesen, die Geschäftsfahrten mit privaten Vorteilen verbinden. Der Grund: Geschäftskunden sind häufig wenig preissensibel und gewichten Prämien, die sie persönlich in Anspruch nehmen können, sehr hoch.
Mobility-as-a-Service-Konzepte stehen noch am Anfang
Urbane Mobilitätslösungen sind weltweit ein Thema – der Vorstoß der swa trifft den Nerv der Zeit. Indem sie verschiedene Mobilitätsangebote vereinen, erfüllen sie das Bedürfnis nach einer flexiblen, situationsabhängigen Mobilität. Der Bedarf an innovativen Mobilitätskonzepten wird in den nächsten Jahren genauso steigen wie die Ansprüche der Kunden an die entsprechenden Lösungen. Damit Mobility-as-a-Service-Konzepte wie die Mobilitätsflatrate für alle Beteiligten zum Erfolg werden, sollten Anbieter ihren Kundenstamm sinnvoll segmentieren, ihr Angebot entsprechend strukturieren und die einzelnen Pakete voneinander abgrenzen, ihr Preismodell differenzieren und ihre Kunden mithilfe gezielter Anreize langfristig binden.